Die griechische Erbdemokratie

Die Kinder haben gute Jobs, der Papa ist schon wie der Opa Premier. Die Familie Mitsotakis ist einer der einflussreichsten Clans in Griechenland. Premier Kyriakos Mitsotakis kämpft nun dafür, dass das auch nach der Wahl so bleibt.

May 2, 2023

Ein blaues Fahnenmeer weht an diesem lauen Abend im April im alten Hafen der bildhübschen westkretischen Stadt Chania. Der Wahlkampf in Griechenland vor den Parlamentswahlen am 21. Mai hat gerade offiziell begonnen.

Breitbeinig steht er am Rednerpult. Er habe “nur ein Ziel”, verkündet Kyriakos Mitsotakis, seit knapp vier Jahren griechischer Premier: mit seiner konservativen Nea Dimokratia (ND) weiter alleine das Land regieren. “Heute senden die Menschen in Chania ihre eigene donnernde Botschaft der Hoffnung. Eine Botschaft des Selbstbewusstseins, des Sieges, damit wir am 21. Mai, dem Namenstag von Konstantinos und Helena, in Blau feiern können. Nicht nur Kreta wird blau sein, sondern ganz Griechenland”, sprüht der 55-Jährige vor Zuversicht. Die Menge jubelt.

Blau ist die Parteifarbe der ND. Alljährlich am 21. Mai feiert ferner gefühlt halb Hellas mit den Vornamen Konstantinos (kurz: Kostas oder Kostis) seinen Namenstag, der hierzulande weit wichtiger als der Geburtstag ist. Den Wahltermin hat Premier Mitsotakis höchstpersönlich bestimmt. Dafür gibt ihm das griechische Gesetz das alleinige Recht.

Eine Heirat etablierte den Clan

Der Wahltermin ist kein Zufall. Schon der Urgroßvater des Premiers hieß Konstantinos. Der “Gero-Kosti”, der “alte Kostis”, ist der Genarch, der Gründer des Mitsotakis-Clans. 1845 auf dem Peloponnes geboren, musste seine Familie vor ihrer Verfolgung nach Kreta fliehen. Dort zog Kostis Mitsotakis 1872 nach Chania und gründete die “Partei der Barfüßigen”, wie sie seine politischen Gegner abschätzig nannten. Eine grobe Unterschätzung. Denn Kostis Mitsotakis war nicht nur Förderer und enger Vertrauter des jüngeren Eleftherios Venizelos, der von 1910 bis 1933 mit Unterbrechungen gleich siebenmal griechischer Premier war. Kostis Mitsotakis heiratete auch Venizelos’ Schwester Katigo.

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Das war der Grundstein für die Etablierung des Mitsotakis-Clans in der griechischen Politik. Der Enkelsohn des Genarchen, der nach alter Tradition den Vornamen seines Großvaters erhielt, prägte nach dem Zweiten Weltkrieg fast fünfzig Jahre die Politik in Griechenland, von 1990 bis 1993 als Premier. Sein Sohn ist Kyriakos, der heutige Premier. Dessen Großvater, der selbstredend ebenfalls Kyriakos hieß und so sein Namensgeber war, war auch schon Abgeordneter.

In der Athener Politik bleibt die “Oikogeniokratia” (“Familienherrschaft”) gut 200 Jahre nach der Befreiung vom osmanischen Joch und mehr als vierzig Jahre nach Hellas’ Beitritt zur EU so fest verankert wie die hiesige Vetternwirtschaft, die auch andere Verwandte, Bekannte oder enge Freunde mit guten Posten versorgt, und der damit einhergehende unsägliche Klientelismus. Ob Weltkriege, regionale Kriege, ein Bürgerkrieg oder Staatspleiten: In Griechenland ist die “Oikogeniokratia” nicht auszurotten.

Das wird wohl so bleiben. So unbeirrt wie unverfroren hegt und pflegt jedenfalls Premier Kyriakos Mitsotakis, der sich überall stets als Modernisierer und entschlossener Reformer präsentiert, die einer modernen Demokratie westlichen Typs so unwürdige Tradition der “Oikogeniokratia” – zum massiven Vorteil der eigenen Familie.

Ein Blick auf seine drei Kinder reicht. Die Jüngste im Bunde, die 20-jährige Dafni, hat an der so renommierten wie teuren US-Universität Yale ihr Studium begonnen. Premier Mitsotakis jettete kurzerhand dorthin, um Dafni bei ihrer Einschreibung bloß nicht alleine zu lassen. Im Fall Dafni und ihrer politischen Ambitionen gilt aber vorerst: abwarten.

In den Genuss väterlicher Fürsorge kam offensichtlich auch Dafnis Schwester Sofia, heute 25. Unmittelbar nach ihrem Studium des Öffentlichen Gesundheitswesens an der US-Universität Johns Hopkins heuerte sie im Londoner Büro der global agierenden Investmentgesellschaft CVC an, wo sie die Beziehungen zu den CVC-Investoren verantworten darf. Ein Traumjob bei einer milliardenschweren Firma – ohne direkt erkennbaren Bezug zu ihrem Studium. Sie ergatterte den Posten, nachdem ihr Vater Premier geworden war.

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Pikanterweise hat CVC seit 2020 gleich fünf ihrer aktuell sechs Beteiligungen an griechischen Vorzeigefirmen erworben, alle in der Amtszeit von Papa und Premier Mitsotakis. Eingestiegen ist CVC nicht nur bei dem Nahrungsmittelhersteller Vivartia, der Online-Shopping-Plattform Skroutz sowie dem an Top-Standorten am Mittelmeer aktiven Luxusyacht-Marinabetreiber D-Marina, sondern auch bei dem Versicherer National Insurance sowie dem früher staatlichen Energieerzeuger DEI – ein Schwergewicht unter Hellas’ Unternehmen.

In der EU-Hauptstadt Brüssel kam Sofias ein Jahr jüngerer Bruder unter. Der Sohn von Premier Mitsotakis, Jahrgang 1998, bekam nach seinem Studium – auch dies an einer teuren US-Uni in Boston – und seinem Wehrdienst einen Job als akkreditierter Mitarbeiter des spanischen Europaabgeordneten Esteban Gonzales Pons. Der junge Mitsotakis ist der einzige Nicht-Spanier im Mitarbeiterstab des Politikers der konservativen Partido Popular.

Klar, dass Mitsotakis’ Sohn Konstantinos heißt, auch er benannt nach dem “alten Kostis” aus Chania, weshalb schließlich auch schon sein Großvater so hieß. Noch beschäftigt der jüngste Kostas zumeist nur die Athener Boulevardpresse, weil er mit einer griechischen Weltklasse-Tennisspielerin liiert ist. Doch schon bald könnte er in die Fußstapfen seiner umtriebigen Vorfahren treten wollen, wie Beobachter erahnen. In fünfter Generation. Kostis, Kyriakos, Kostas, Kyriakos und demnächst womöglich wieder Kostas: Die Mitsotakis-Dynastie stellt die immerzu gleichnamigen Könige in Hellas, Europas einziger Erbdemokratie.

Die Politikerfamilie wurde immer reicher

Böse Zungen behaupten, der Mitsotakis-Clan sei wohl ein Paradebeispiel dafür, wie man in Griechenland die Politik zu einem Geschäftsmodell machen könne. Kritiker werfen mitunter die heikle Frage auf, wie es die Mitsotakis von Generation zu Generation denn schafften, immer reicher zu werden, als sie es vor dem Eintritt in die Politik noch waren. Stichwort: die “Partei der Barfüßigen” des “alten Kostis”.

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Fest steht: Der Regierungschef in Athen stand 2020 (jüngere Daten liegen nicht vor) mit seiner Ehefrau Mareva bei Geschäftsbanken mit stattlichen 1,3 Millionen Euro in der Kreide. Den zu tilgenden Krediten standen 40 Immobilien, fünf Autos und über eine halbe Million Euro Spareinlagen gegenüber. Die Erwerbseinkünfte der 56-jährigen Mareva im Jahr 2020 waren sogar für neogriechische Post-Staatsbankrott-Verhältnisse recht bescheiden: 9.244,10 Euro.

Egal. Das tut der echten Freude der Eltern über den Werdegang von Tochter Dafni keinen Abbruch. Bei der Maturafeier in der Eliteschule Athens College, die jährlich mehr Schulgeld kostet, als Mareva Mitsotakis 2020 verdiente, geriet ihr Gatte via Twitter pünktlich vor dem Start der Tochter in Yale geradezu ins Schwärmen: “Wie ich mich daran erinnere, als du die erste Klasse besucht hast! Jetzt hast du die Schule abgeschlossen und startest eine neue, schöne Reise!”

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